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Novelle der Investitionskontrolle nach der Außenwirtschaftsverordnung

Ausweitung der Meldepflichten

Die Bundesregierung hat am 27. April 2021 die 17. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (17. AWV-Novelle) verabschiedet. Mit der 17. AWV-Novelle soll die 2020 begonnene Reform des nationalen Investitionsprüfungsrechts abgeschlossen werden (vgl. hierzu unsere Mandanteninformation vom 07. Februar 2020, Mandanteninformation vom 09. April 2020, und Mandanteninformation vom 22. Mai 2020). 

Im Mittelpunkt der 17. AWV-Novelle steht  eine Ausweitung der Meldepflichten auf weitere 16 Wirtschaftssektoren, insbesondere in Zukunfts- und Hochtechnologiebereichen wie künstliche Intelligenz, Robotik, Cybersicherheit, Luft- und Raumfahrt und Halbleiter. Zudem führt die Novelle Schwellenwerte für Aufstockungen bestehender Beteiligungen ein und klärt, wann konzerninterne Umstrukturierungen einer Meldepflicht unterliegen. Schließlich soll das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) bei „atypi-schen Kontrollerwerben“ unterhalb der Schwellenwerte ein Prüfverfahren von Amts wegen einleiten können. 

Die Novelle soll in den nächsten Tagen in  Kraft treten. Die Änderungen gelten für schuldrechtliche Rechtsgeschäfte, die ab dem Tag des Inkrafttretens abgeschlossen werden. 

EXECUTIVE SUMMARY 

  • Signifikante Ausweitung der meldepflichtigen Sektoren
  • Schwellenwerte für Meldepflichten beim Aufstocken bestehender Beteiligungen
  • Klarstellung der Meldepflichten bei internen Umstrukturierungen
  • Prüfmöglichkeiten des BMWi bei „atypischen Kontrollerwerben“

Wir haben nachfolgend im Detail die wichtigsten Änderungen zusammengefasst. 

1. Ausweitung der meldepflichtigen Sektoren

Die Anzahl der meldepflichtigen Sektoren wird von bisher 11 auf nunmehr 27 ausgeweitet. Zu begrüßen ist, dass der Verordnungsgeber die neuen Sektoren teilweise deutlich enger fasst, als dies unter der EU-Screening-Verordnung der Fall ist. Zudem wurde der Schwellenwert (20 % der Stimmrechte) höher festgesetzt als ursprünglich vorgesehen, um insbesondere Start-ups und Finanzinvestoren zu entlasten. 
Die sektorspezifische Investitionskontrolle  wird ebenfalls ausgeweitet. Eine Meldepflicht besteht nun insbesondere auch bei Beteiligungen an Unternehmen, deren Güter der Exportkontrolle unterliegen. 

a) Sektorübergreifende Investitionskontrolle

Neue Meldepflichten bestehen künftig für unmittelbare und mittelbare Erwerbe von mindestens 20 % der Stimmrechte durch Erwerber von außerhalb der EU oder EFTA an deutschen Unternehmen, die in den folgenden Sektoren tätig sind: 

Satellitensysteme: Betreiber eines hochwertigen Erdfernerkundungssystems im Sinne des § 2 Absatz 1 Nummer 4 des Satellitendatensicherheitsgesetzes

Künstliche Intelligenz: Unternehmen, das Güter entwickelt oder herstellt, die mittels Verfahren der Künstlichen Intelligenz konkrete Anwendungsprobleme lösen und zur eigenständigen Optimierung ihrer Algorithmen fähig sind, und die dazu genutzt werden können automatisiert 

  • Cyber-Angriffe durchzuführen;
  • Personen zu imitieren, um gezielte Desinformation zu verbreiten;
  • als Mittel zur Auswertung von Sprachkommunikation oder zur biometrischen Fernidentifikation von Personen zum Zwecke der Überwachung, die bei objektiver Betrachtung auch zur internen Repression geeignet ist, verwendet zu werden, oder
  • Bewegungs-, Standort-, Verkehrs- oder Ereignisdaten über Personen zum Zwecke der Überwachung, die bei objektiver Betrachtung auch zur internen Repression geeignet ist, zu analysieren.

Laut Verordnungsbegründung soll die objektive Nutzbarkeit der Anwendung für die genannten missbräuchlichen Zwecke entscheidend sein. Ausreichend ist, wenn die Gesamtumstände eine missbräuchliche Nutzung in Folge des Erwerbs möglich erscheinen lassen. 

Automatisiertes oder autonomes Fahren beziehungsweise Fliegen: Unternehmen, das Kraftfahrzeuge oder unbemannte Luftfahrzeuge, die über eine technische Ausrüstung für die Steuerung von automatisierten oder autonomen Fahr- oder Navigationsfunktionen verfügen, oder die für die Steuerung solcher Fahr- oder Navigationsfunktionen wesentlichen Komponenten oder hierfür erforderliche Software entwickelt oder herstellt. 

Laut Verordnungsbegründung soll diese Fallgruppe zum Schutz gegen unbefugte potentielle Eingriffe oder Manipulationen beitragen. Erfasst wird auch die Entwicklung und Herstellung von für die Steuerung solcher Fahr- oder Navigationsfunktionen wesentlicher Komponenten und hierfür erforderliche Software. 

Robotik: Entwickler oder Hersteller von Robotern, auch automatisiert oder autonom mobil, mit folgenden Eigenschaften:  

  • besonders konstruiert für die Handhabung hochexplosiver Stoffe;
  • besonders konstruiert oder ausgelegt als strahlungsgehärtet, um ohne Funktionseinbuße einer Strahlendosis von mehr als 5 x 10³ Gy (Silizium) standhalten zu können;
  • besonders konstruiert für eine Betriebsfähigkeit in Höhen über 30.000 Meter oder
  • besonders konstruiert für eine Betriebsfähigkeit in Wassertiefen ab 200 Meter.

Halbleiter: Entwickler, Hersteller oder Veredler von

  • mikro- oder nanoelektronischen nicht-optischen Schaltungen (integrierte Schaltungen) auf einem Substrat sowie diskreten Halbleitern;
  • mikro- oder nanostrukturierten optischen Schaltungen auf einem Substrat sowie diskreten optischen Bauelementen (Optoelektronik) oder
  • Herstellungs- oder Bearbeitungswerkzeugen, hierbei insbesondere Kristallzucht-, Belichtungs-, Maskenherstellungs-, Faserzieh- oder Beschichtungsanlagen, sowie Schleif-, Ätz-, Dotier- oder Sägeausrüstung oder Reinraumtransporteinrichtungen, Testwerkzeuge und Masken, für vorgenannte Güter.

Cybersicherheit: Unternehmen, das IT-Produkte oder Komponenten solcher Produkte mit dem Ziel der Veräußerung an Dritte entwickelt oder herstellt, die als das wesentliche Funktionsmerkmal  

  • dem Schutz der Verfügbarkeit, Integrität, Authentizität oder Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme, Komponenten oder Prozesse;
  • der Abwehr von Angriffen auf IT-Systeme einschließlich der dazugehörigen Schadensanalyse und Wiederherstellung betroffener IT-Systeme oder
  • der informationstechnischen Aufklärung von Straftaten und zur Beweissicherung durch Strafverfolgungsbehörden, 

dienen. 

Laut Verordnungsbegründung sollen IT-Sicherheitsprodukte und IT-Forensikprodukte erfasst werden, die vorrangig dafür bestimmt sind, einem der genannten Anwendungszwecke zu dienen. Im Bereich IT-Sicherheit werden beispielhaft Virenschutzprogramme und Firewalls genannt. 

Luft- und Raumfahrt: Luftfahrtunternehmen mit Betriebsgenehmigung sowie Unternehmen, die im Bereich Luftfahrtelektronik und Navigation bestimmte von der EU-Dual-Use-Verordnung erfasste Güter (Unterkategorien 7A, 7B, 7D, 7E, 9A, 9B, 9D oder 9E des Anhangs I) oder Güter oder Technologien, die für die Verwendung in der Raumfahrt oder für den Einsatz in Raumfahrtinfrastruktursystemen bestimmt sind, entwickeln oder herstellen. 

Nukleartechnologie: Unternehmen, das bestimmte von der EU-Dual-Use-Verordnung erfasste Güter entwickelt, herstellt, modifiziert oder nutzt (Kategorie 0 oder Listenpositionen 1B225, 1B226, 1B228, 1B231, 1B232, 1B233 oder 1B235 des Anhangs I). 

Quantentechnologie: Unternehmen, das Entwickler oder Hersteller von Gütern und wesentlichen Komponenten der

  • Quanteninformatik, insbesondere Quantencomputer und Quantensimulation;
  • Quantenkommunikation, insbesondere Quantenkryptographie, oder
  • quantenbasierten Messtechnik insbesondere Quantensensoren und Güter der Quantenmetrologie,

ist. 

Erfasst werden soll laut Begründung die Quantentechnologie der zweiten Generation, die sich durch die aktive Manipulation von Quantenzuständen (beispielsweise Verschränkung und Überlagerung) von der Quantentechnologie der ersten Generation abgrenzt. 

Additive Fertigung: Unternehmen, das

  • Güter mit denen Bauteile aus metallischen oder keramischen Werkstoffen für industrielle Anwendungen mittels additiver Fertigungsverfahren hergestellt werden (insbesondere pulverbasierte Fertigungsverfahren die eine Schutzgasatmosphäre besitzen und als Energiequelle einen Laser oder Elektronenstrahl verwenden);
  • wesentlichen Komponenten, der vorgenannten Güter, oder
  • Pulvermaterialien, die durch die vorgenannten Fertigungsverfahren verarbeitet werden,

entwickelt oder herstellt. 

Netztechnologien: Unternehmen, das Güter entwickelt oder herstellt, die spezifisch dem Betrieb drahtloser oder drahtgebundener Datennetze dienen, insbesondere draht- oder lichtwellengebundene Übertragungstechniken, Netzkopplungselemente, Signalverstärker, Netzüberwachungs-, Netzmanagement- und Netzsteuerungsprodukte hierfür. 

Mit dieser neuen Fallgruppe soll laut Begründung insbesondere die Prüfung ausländischer Direktinvestitionen mit potenziellen Auswirkungen auf wichtige 5G-Anlagen und -Einrichtungen ermöglicht werden. 
Zugang zu Smart-Meter-Gateways: Hersteller eines  

  • Smart-Meter-Gateways im Sinne des § 2 Satz 1 Nummer 19 des Messstellenbetriebsgesetzes, das durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik gemäß § 19 Absatz 3 in Verbindung mit § 24 dieses Gesetzes zertifiziert worden ist oder sich in einem laufenden Zertifizierungsverfahren befindet, oder
  • Sicherheitsmoduls für Smart-Meter-Gateways, das zum Nachweis der sicherheitstechnischen Anforderungen nach § 22 Absatz 1 und 2 des Messstellenbetriebsgesetzes durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zertifiziert worden ist oder sich in einem laufenden Zertifizierungsverfahren befindet.

Solche Unternehmen sind laut Begründung Schlüsselunternehmen für die Gewährleistung der hohen gesetzlichen Anforderungen an den Datenschutz und an die Datensicherheit von intelligenten Messsystemen nach dem Messstellenbetriebsgesetz. 

Zugang zu lebenswichtigen Einrichtungen: Unternehmen, das Personen beschäftigt, die in lebenswichtigen Einrichtungen nach den §§ 5a, 5b oder § 9a der Sicherheitsüberprüfungsfeststellungsverordnung an sicherheitsempfindlichen Stellen im Sinne des § 1 Absatz 5 Satz 3 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes tätig sind.

Die Fallgruppe erfasst Unternehmen, die für die Bundesrepublik Deutschland wichtige Leistungen und Dienstleistungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik erbringen.  

Kritische Rohstoffe: Unternehmen, das  Rohstoffe oder deren Erze gewinnt, aufbereitet oder raffiniert, die im Rahmen der Rohstoffinitiative der Europäischen Kommission im Anhang der aktuellen Mitteilung der Kommission als Liste der kritischen Rohstoffe festgelegt wurden und die das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Bundesanzeiger bekannt gemacht hat. 

Zugang zu sensiblen Informationen: Unternehmen, das Güter entwickelt oder herstellt, auf die sich der Schutzbereich eines nach § 50 des Patentgesetzes geheimgestellten Patentes oder eines nach § 9 des Gebrauchsmustergesetzes geheimgestellten Gebrauchsmusters erstreckt.

Nahrungsmittelsicherheit: Unternehmen, das unmittelbar oder mittelbar eine landwirtschaftliche Fläche von mehr als 10.000 Hektar bewirtschaftet. 

Die Aufgreifschwelle für die einige, bereits erfassten Sektoren werden von bisher 10 % auf nunmehr 20 % der Stimmrechte erhöht: (i) persönliche Schutzausrüstung, (ii) bestimmte Arzneimittel und Impfstoffe, (iii) Medizinprodukte zur Behandlung hochansteckender Krankheiten und (iv) bestimmte In-vitro-Diagnostika. Bei den übrigen bereits erfassten Sektoren (kritische Infrastrukturen etc.) bleibt es bei der Aufgreifschwelle von 10 %.

b) Sektorspezifische Investitionskontrolle

Neue Meldepflichten im Bereich der sektorspezifischen Investitionskontrolle bestehen künftig für unmittelbare und mittelbare Beteiligungen von mindestens 10% durch Erwerber von außerhalb Deutschlands an deutschen Unternehmen, die in den folgenden Sektoren tätig sind. 

Exportkontrolle: Unternehmen, das Güter  im Sinne des Teils I Abschnitt A der Ausfuhrliste entwickelt, herstellt, modifiziert oder die tatsächliche Gewalt über solche Güter innehat. 

Wehrtechnik: Unternehmen, das Güter aus  dem Bereich Wehrtechnik entwickelt, herstellt, modifiziert oder die tatsächliche Gewalt über solche Güter innehat, auf die sich der Schutzbereich eines nach § 50 des Patentgesetzes geheimgestellten Patentes oder eines nach § 9 des Gebrauchsmustergesetzes geheimgestellten Gebrauchsmusters erstreckt. 

Verteidigungswichtige Einrichtungen: Unternehmen, das eine verteidigungswichtige Einrichtung im Sinne des § 1 Absatz 5 Satz 2 Nummer 1 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes ist. 

Für im Bereich Exportkontrolle und Wehrtechnik tätige Unternehmen gilt dies auch für Unternehmen, die die jeweils genannten Güter in der Vergangenheit entwickelt, hergestellt, modifiziert oder die tatsächliche Gewalt über solche Güter innegehabt haben und noch über Kenntnisse oder sonstigen Zugang zu der solchen Gütern zugrundeliegenden Technologie verfügen. 

2. Schwellenwerte für Aufstockungen (Hinzuerwerbe)

Eine Meldepflicht besteht nicht nur dann,  wenn das Erreichen des ersten Schwellenwerts (von mindestens 10 % bzw. 20 % der Stimmrechte, je nach Sektor) meldepflichtig ist, sondern auch wenn spätere Hinzuerwerbe weitere Stimmrechtsschwellen erreichen. 

Für Sektoren, bei denen der (Ersterwerb-) Schwellenwert bei 10 % liegt (z. B. kritische Infrastrukturen), liegen die weiteren (Zuerwerbs-) Meldeschwellen bei 20 %, 25 %, 40 %, 50 % und 75 %. 

Für Sektoren, bei denen der (Ersterwerb-) Schwellenwert bei 20 % liegt (z. B. die neu erfassten Sektoren, vgl. oben A.I.1.a)), liegen die weiteren (Zuerwerbs-) Meldeschwellen bei 25, 40, 50 und 75 %. 

3. Interne Umstrukturierungen

Konzerninterne Umstrukturierungen werden  nur in einem sehr engen Rahmen von den Meldepflichten und dem Prüfrecht des BMWi ausgenommen. Die Ausnahme gilt nur, wenn ein schuldrechtliches Rechtsgeschäft über den Erwerb eines inländischen Unternehmens ausschließlich zwischen Unternehmen abgeschlossen wird, deren Anteile jeweils vollständig von demselben herrschenden Unternehmen gehalten werden und alle Vertragsparteien ihren Ort der Leitung in demselben Drittstaat haben. 

Konzerninterne Umstrukturierungen werden  also nur dann ausgenommen, wenn zwei hundertprozentige Tochterunternehmen eines Mutterunternehmens beteiligt sind und diese unter der gleichen Rechtsordnung inkorporiert sind. 

Alle sonstigen internen Umstrukturierungen  können einer Meldepflicht bzw. einem Prüfrecht des BMWi unterliegen. 

4. Prüfrecht bei atypischen Kontrollerwerben

Keine Meldepflicht, aber ein Prüfrecht des BMWi von Amts wegen besteht bei „atypischer Kontrollerwerben“. Dies setzt voraus, dass ein Unionsfremder in anderer Weise, als durch das Erreichen des Schwellenwerts, eine wirksame Beteiligung erlangt. Dies ist der Fall, wenn ein Erwerb von Stimmrechten einhergeht mit

  • der Zusicherung zusätzlicher Sitze oder Mehrheiten in Aufsichtsgremien oder in der Geschäftsführung;
  • der Einräumung von Vetorechten bei strategischen Geschäfts- oder Personalentscheidungen oder
  • der Einräumung von Informationsrechten im Sinne von § 15 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 AWG
Autoren: Daniel Wiedmann, Benjamin Letzler, Xin Zhang
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